von den Transformateuren Silvia Liebrich, Martin Held, Jörg Schindler

12-Punkte-Programm um den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu senken

München / Tutzing / Neubiberg, 8. Mai 2012

  1. Dienstwagenprivileg streichen
  2. Pendlerpauschale streichen
  3. Tempolimit einführen
  4. Jährliche Klimaschutzziele setzen
  5. Energielabel und Energiesparkampagnen
  6. Gesetze, Verordnungen, öffentliche Investitionen
  7. Öffentliche Verkehrsnetze ausbauen
  8. Mehr Platz für Radfahrer schaffen
  9. Energetische Gebäudesanierung beschleunigen
  10. Plastikverbrauch senken und Recycling weiter verbessern
  11. Technologiewandel beschleunigen und unterstützen
  12. Die Autoindustrie muss Reformbereitschaft zeigen

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Einleitung

Eine wirkliche Energiewende erfordert nicht nur den Ausstieg aus der nuklearen Stromerzeugung, sondern – genauso wichtig und grundlegend – den Ausstieg aus der Nutzung von fossilen Energiequellen vor allem von Erdöl. Der wichtigste Treibstoff für den Verkehr wird immer knapper und teurer. Auch die verarbeitende Industrie ist stark abhängig von dieser Ressource.

Erdöl ist nicht nur Rohstoff, sondern auch Drohstoff.  Weltweite politische Spannungen wie derzeit mit Iran machen die Preisentwicklung unberechenbar. Davon gehen große Risiken für die Wirtschaft und die gesamte Gesellschaft aus. Hinzu kommt, die Förderung des Rohstoffs wird riskanter, wie die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko gezeigt hat. Die Erschließung von Schieferölvorkommen oder Teersanden vergiftet das Grundwasser und zerstört die Umwelt.

Deshalb müssen in allen Politikfeldern Anreize gesetzt werden, die helfen den Energieverbrauch zu senken und alternative Energiequellen zu nutzen. Für den fast völlig vom Erdöl abhängigen Verkehrsbereich erfordert das nichts weniger als eine Verkehrswende: Von der fossilen Verkehrspolitik zu einer postfossilen Mobilitätspolitik.

Mit der bevorstehenden Energiewende müssen sich auch die Siedlungsstrukturen in Städten und im ländlichen Raum verändern, weil sich immer weniger Menschen in Zukunft den Treibstoff für das eigene Auto werden leisten können. Geschäfte, Ärzte, Kindergärten, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen müssen auf kurzen Wegen erreichbar sein.

Das folgende Zwölf-Punkte-Programm ist nicht abschließen. Vergleichbare Forderungen sind auch für den Luftverkehr, den Schiffsverkehr, die Agrarpolitik und andere Politikbereiche nahe liegend. Alle Forderungen betreffen Maßnahmen, die sofort umsetzbar sind. Diese sind selbstverständlich mit weitergehenden, mittel- und langfristigen Instrumenten zu ergänzen.

1. Dienstwagenprivileg streichen

Der Dienstwagen zur privaten Nutzung ist eine der häufigsten Nebenleistungen zum regulären Einkommen in Deutschland. Eine Untersuchung des Bundesumweltministeriums von 2011 hat ergeben, dass mehr als 50 Prozent aller neuen Pkw als Firmenwagen zugelassen wird. 2,5 Millionen aller in Deutschland zugelassenen Autos sind Firmenwagen. Das Dienstwagenprivileg stellt damit in Deutschland die größte Steuervergünstigung dar, die vor allem Besserverdienern zugute kommt. Dies kostet den Staat pro Jahr bis zu 5,5 Milliarden Euro.

Das hat gravierende Folgen für den gesamten Fuhrpark. In der Tendenz werden vor allem große Fahrzeuge mit hohem Verbrauch angeschafft. Ohne Steuervergünstigung wären auf Deutschlands Straßen längst nicht so viele Spritfresser unterwegs, und die Autoindustrie würde weniger große Fahrzeuge verkaufen. Sie würde sich stärker auf die Konstruktion kleinerer und sparsamerer Fahrzeuge konzentrieren und wäre vermutlich auch bei der Entwicklung von Elektrofahrzeugen schon weiter. Das Dienstwagenprivileg ist nicht nur sozial ungerecht, sondern auch ein großes Hemmnis für die Energiewende.

Forderung: Dienstwagen müssen steuerlich neutralisiert werden, das heißt, Dienstwagen und Privatwagen müssen steuerlich gleichbehandelt werden. Dies würde automatisch zu einer stärkeren Nutzung von verbrauchsärmeren Fahrzeugen führen, weil sich viele Arbeitnehmer nicht mehr so große Autos leisten können. Positiver Nebeneffekt: CO2-Einsparungen von 3,2 bis 6,4 Millionen Tonnen. Die Autoindustrie würde sich an den neuen Bedarf automatisch anpassen.

Freiwerdende Steuermittel: bis zu 5,5 Milliarden Euro pro Jahr

2* Pendlerpauschale streichen

Das Bundesfinanzministerium hat Pendler im vergangenen Jahr mit insgesamt 4,4 Milliarden Euro subventioniert. Die Beihilfe ist letztendlich eine Beihilfe zur Energieverschwendung. Es geht darum, die Mittel zielgerichtet für die Förderung des Öffentlichen Verkehrs im ländlichen Raum einzusetzen und dementsprechend umzuschichten (siehe dazu auch die Forderung 7).

Forderung: Die Pendlerpauschale wird in ihrer jetzigen Form abgeschafft und durch eine Förderung umweltfreundlicher Verkehrsmittel ersetzt. Autofahrer sollten eine Entfernungspauschale ohnehin nur in absoluten Härtefällen bekommen, etwa bei Nachtschichtbetrieb u. ä. – ohnehin sollte man eine Entfernungszulage allenfalls für  Geringverdiener in Erwägung ziehen.

Freiwerdende Steuermittel: 4,4 Milliarden Euro

3* Tempolimit einführen

Der Kraftstoffverbrauch von Fahrzeugen nimmt bei hohen Geschwindigkeiten stark zu, das gilt entsprechend für die CO2-Emissionen. Der gesamte Verbrauch kann durch ein Tempolimit auf Autobahnen und Landstraßen deutlich gesenkt werden. OECD und ECMT stellten fest, dass Pkw bei 90 km/h statt 110 km/h konstanter Geschwindigkeit 23 Prozent weniger Kraftstoff je 100 km verbrauchen. Fahren Lastzüge mit 80 statt mit 90 km/h, sinkt der Kraftstoffverbrauch um etwa 20 Prozent. In nahezu allen Ländern gilt inzwischen ein Tempolimit, nur in Deutschland nicht. Tempo 30 innerorts reduziert die bisherige Privilegierung des motorisierten Verkehrs und damit die Privilegierung der Ferne gegenüber der Nähe. Das macht aktive Mobilität attraktiver und reduziert damit den Autoverkehr im Nahbereich.

Positiver Nebeneffekt: auch die Unfallgefahr ist niedriger bei einem Tempolimit. Dies gilt insbesondere auch für Tempo 30 innerorts, das das Risiko schwerer Unfälle für Fußgänger und Radfahrer drastisch reduziert – auch Kinder können sich wieder ungefährdeter im öffentlichen Raum bewegen. Dies ist daher auch eine Forderung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates DVR.

Forderung: Tempo 120 km/Std. auf Autobahnen, 80 km/Std. auf Landstraßen, 30 km/Std. in Ortschaften. Mit dieser Sofortmaßnahme ließe sich der gesamte Verbrauch an Benzin und Diesel auf einen Schlag deutlich reduzieren.

4* Jährliche Klimaschutzziele setzen

Die Zeitziele liegen viel zu weit in der Zukunft, so dass die jetzige Regierung dafür keine Verantwortung übernehmen muss – 30 Prozent oder 40 Prozent bis 2020, 80 Prozent bis 2050. Was fehlt, ist die Festlegung verbindlicher jährlicher Ziele, also etwa 1, 2 oder 3 Prozent CO2-Reduktion oder Energie-Effizienzsteigerung etc. pro Jahr, damit die langfristigen Ziele sicher erreicht werden.

Forderung: Langfristige Klimaschutzziele werden durch jährlich überprüfbare (notfalls auch sanktionierbare) Ziele ergänzt. So lässt sich in gleichem Maße auch der Verbrauch von fossilen Brennstoffen allgemein senken. In diesem Sinne müssen auch konkrete jährliche Ziele für die Reduktion des Ölverbrauchs festgelegt werden.

5* Energielabel und Energiesparkampagnen

Die heutigen Informationen für Konsumenten bezüglich des Energieverbrauchs von Geräten und Fahrzeugen sind ungenügend bis irreführend. Beispiel Auto: Angeblich ist ein Porsche effizienter als ein Kleinwagen!

Forderung: Verpflichtende Energieverbrauchslabel für alle energieverbrauchenden Produkte mit Aussagekraft (statt green washing). Wirkungsvolle öffentlich geförderte Energiesparkampagnen mit dem Ziel, den Gesamtenergiverbrauch des Landes tatsächlich merklich zu senken.

6* Gesetze, Verordnungen, öffentliche Investitionen

Gesetze und Verordnungen werden in aller Regel beschlossen, ohne die künftige Verfügbarkeit von fossiler Energie und den Klimawandel im Auge zu haben. Höhere Investitionskosten, die zu künftig reduzierten Energiekosten führen, haben sehr häufig keine Chance.

Forderung: Alle Gesetze, Verordnungen und öffentlichen Investitionen müssen die Folgen für den Energieverbrauch (insbesondere auch Ölverbrauch) und für klimarelevante Emissionen ausweisen und quantifizieren.

7* Öffentliche Verkehrsnetze ausbauen

Die DB Netz AG der Bahn konzentriert sich beim Streckenausbau auf teure Prestigestrecken wie etwa die ICE-Verbindung Nürnberg-Erfurt, Erfurt-Halle-Leizig (8 Milliarden Euro) sowie Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm (7,5 Milliarden Euro). Verglichen damit werden viele ländliche Regionen vernachlässigt. Das ganze System des Ausbaus ist intransparent. Es gibt kaum öffentliche Diskussionen darüber, welche Verbindungen wegen ihres Bedarfs Priorität haben und welche nicht. Hinzu kommt, dass viele Strecken in den vergangenen Jahren aufgegeben wurden, weil nur nach kurzsichtigen Rentabilitätsgesichtspunkten entschieden wurde. Hier geht es aber um öffentliche Grundversorgung, hierfür müssen auch andere Kriterien gelten. D.h. ländliche Gebiete müssen in Zukunft wieder besser Anschluss finden, es können ja nicht alle Menschen in den größeren Städten leben!

Forderung: Der Netzausbau der Schiene muss völlig neu strukturiert werden. Der Staat muss hier wieder mehr Verantwortung übernehmen. Welche Strecken wie betrieben und ausgebaut werden, muss der öffentlichen Kontrolle unterliegen und sich an klaren Fakten orientieren. Der öffentliche Verkehr wird in Zukunft wichtiger sein als die individuelle Mobilität. Der Ausbau eines feinmaschigen Bahnnetzes muss Priorität haben. In Ballungsräumen müssen etwa S-Bahn, Bus-Netze (E-Bus) und der Einsatz moderner Informationstechniken verstärkt werden. Aufbau eines Schienennetzes für den Güterverkehr, das möglichst unabhängig vom Personenverkehr betrieben werden kann.

8* Mehr Platz für Radfahrer schaffen

Im Ruhrgebiet wird die erste „Schnellstraße“ für Radfahrer geplant – ein Ausnahmeprojekt. Revierstädte und der Regionalverband Ruhr planen für Berufspendler eine etwa 60 Kilometer lange „Rad-B1“ von Duisburg bis Dortmund. Der Fahrrad-Highway soll möglichst wenig Steigungen haben und auch bei Nacht beleuchtet sein. Die Planer rechnen mit zwei Millionen potentiellen Nutzern.

Immer mehr Radfahrer fahren E-Bike, eine Alternative zum Auto. Doch der Straßenverkehr ist auf das wachsende Verkehrsaufkommen durch Fahrräder nicht eingestellt. Es fehlen der Platz zum Fahren auf den Straßen und attraktive Abstellmöglichkeiten.

Forderung: Wir brauchen neue Verkehrskonzepte und eine neue Straßen- und Wegegestaltung, die Platz für Radfahrer schaffen, vor allem in den Städten. Auch auf Landstraßen und Mittelstrecken in Ballungsräumen fehlen Radwege. Außerdem: Auch E-Bikes brauchen Ladestationen!

9* Energetische Gebäudesanierung beschleunigen

Die Beheizung von Gebäuden, insbesondere von schlecht isolierten, verbraucht neben dem Straßenverkehr die meiste Energie. Durch eine gute Isolierung lässt sich der Verbrauch dabei laut Umweltbundesamt bei manchen Gebäuden auf (nicht um) 10 Prozent ihres jetzigen Bedarfs senken. Die Bundesregierung hat letztes Jahr mit der Energiewende ein Paket zur Wohnbausanierung auf den Weg gebracht, das noch immer im Bundesrat liegt. Ziel ist es, pro Jahr 2 bis 2,5 Prozent des Gebäudebestandes zu sanieren, so dass bis 2050 das Gröbste erledigt wäre. Besonders hoch ist der Bedarf bei öffentlichen Gebäuden und Mietobjekten. Positiver Nebeneffekt: Dies wäre auch ein Konjunkturprogramm für das Handwerk.

Forderung: Das Programm muss endlich im Bundesrat verabschiedet werden. Damit kann die KfW ihr Angebot an zinsgünstigen Krediten für Hausbesitzer aufstocken, um Eigentümer zu unterstützen.

 

10* Plastikverbrauch senken und Recycling weiter verbessern

Etwa 20 bis 30 Prozent des Erdöls gehen in die chemische Industrie zur Herstellung von Kleidung, Pharmazeutika, Verpackungen, Möbel, Geräte aller Art, Kosmetik etc.

Forderung: Hier gibt es erhebliches Einsparpotential, vor allem im Bereich Verpackungen. Zugleich muss die Forschung für Ersatzstoffe, die umweltfreundlich und wiederverwertbar sind, ausgebaut werden. Auch In Sachen Recycling sind längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Einfach wäre es etwa, Plastiktüten ganz aus dem Alltag zu verbannen (im afrikanischen Ruanda sind sie seit einigen Jahren verboten, geht auch; übrigens auch auf der Nordseeinsel Amrum schon lange für alle Geschäfte des täglichen Bedarfs), Mehrwegsysteme in der Getränkeindustrie ohne Plastik, etc..

Die Verantwortung der Industrie für ihre Produkte muss erweitert werden, etwa durch eine grundsätzliche Rücknahmepflicht für die von ihr hergestellten Waren – vom Handy bis zum Auto. Das hat weitreichende positive Konsequenzen im Hinblick auf Ressourceneffizienz, Energieverbrauch und Verschmutzung der Umwelt.

11* Technologiewandel beschleunigen und unterstützen

Elektromotoren und Hybridantriebe sollen Brennstoffmotoren für Benzin und Diesel im großen Stil ersetzen. Doch beide Technologien brauchen Infrastruktur. Die Bundesregierung will bis 2020 mindestens eine Million Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen haben. 2030 sollen es bereits 6 Millionen sein. Geplante Entlastung: E-Mobile, die bis 2015 zugelassen werden, sollen 10 Jahre von der Kfz-Steuer befreit sein und etwa kostenlos parken dürfen. (Studie Öko-Institut 2011) Schon jetzt steht fest, diese Ziele werden wohl verfehlt, wenn nicht mehr Unterstützung kommt.

Stand 2011: von 42 Millionen Fahrzeugen waren 37 000 Hybridfahrzeuge und 2300 E-Mobile zugelassen.

Ende 2011 gab es demgegenüber schon fast eine Million E-Bikes/Pedelecs – ohne politische und mediale Unterstützung. In diesem Jahr werden wohl 300 000 neue dazukommen. Hier brauchte es keine Technologiepolitik, sondern was jetzt noch fehlt ist Platz und eine tatsächlich fahrradfreundliche Politik statt Rhetorik ohne praktische Folgen. Es entwickelt sich mit den elektrisch unterstützten Fahrrädern eine Attraktion in eine neue Richtung, die von der Verkehrswirtschaft (einschließlich Wissenschaft und Politik) mit ihrer Prägung durch den fossilen Verkehr nicht vorhergesehen wurde und die in ihrem Potential immer noch verkannt wird.

Forderung: Die Regierung muss ein eindeutiges Signal für den Ausbau der Infrastruktur (Ladestationen etc.) geben. Sie muss verbindliche Ziele für die nächsten Jahre festlegen, zunächst für Ballungsgebiete und dann für Gesamtdeutschland. Damit sich Industrie und Verbraucher darauf einstellen können.

12* Die Autoindustrie muss Reformbereitschaft zeigen

VW hat im vergangenen Jahr einen Gewinn von 16 Milliarden Euro eingefahren, das ist mehr als so mancher Ölproduzent verdient hat. Auch andere Autohersteller verdienen blendend. Doch wie lange noch? Der Autoabsatz wird dramatisch einbrechen, wenn die Spritpreise weiter so steigen sollten. Damit ist auch die Industrie gefährdet.

Forderung: Autohersteller müssen sich gemeinsam mit Bund und Ländern an einen Tisch setzen und sich auf einheitliche Technologiestandards einigen, was für den Ausbau der E-Mobil/Hybrid-Infrastruktur ein absolutes Muss ist. Wünschenswert wäre auch eine freiwillige Selbsterklärung der Industrie, dass sie künftig einen großen Teil ihres Gewinns, z.B. 20 oder 50 Prozent in die Entwicklung neuer Antriebstechnologien steckt, die ohne fossile Brennstoffe funktionieren.

AutorInnen: Silvia Liebrich, Martin Held, Jörg Schindler

München / Tutzing / Neubiberg, 8. Mai 2012