München/Tutzing, 8. Mai 2012
Die anhaltend hohen und weiter steigenden Ölpreise sorgen aktuell für große Aufregung. Umweltkatastrophen wie „Deepwater Horizon“ und „Fukushima“ als Folge unserer westlichen Energieverschwendung führen in Deutschland zu heftigen Diskussionen über die Ausgestaltung der Energiewende. Die Abhängigkeit von Importen seltener Erden und anderer strategischer Metalle sorgen in immer kürzeren Abständen für Alarm. In jüngerer Zeit rückt auch die Thematik Landraub (landgrabbing) die weltweit heftigen Auseinandersetzungen um fruchtbare Böden und die Art der Landnutzung in Deutschland ins Blickfeld. Der beginnende Klimawandel zeigt sich in einem Anstieg der Wetterextreme. Zugleich hat wegen der stagnierenden Klimaverhandlungen bei Teilen der Öffentlichkeit und der Politik so etwas wie eine Klimaschutz-Frustration eingesetzt. Die Finanzkrise ist nicht wirklich
ausgestanden, Fragen der fairen Entlohnung und sozialen Gerechtigkeit stellen sich in verschärfter Form.
Dies alles sind Symptome der ökologischen, sozialen und ökonomischen Krisen, die wir derzeit erleben. In allen Bereichen zeigt sich die Nichtnachhaltigkeit von bisher scheinbar erfolgreichen Wirtschaftsweisen. Die Versuche, mit möglichst wenigen Veränderungen so weiter zu machen wie bisher, werden scheitern. Das Zurückkehren auf die alten Pfade zeigt beispielsweise der Versuch, nur kurze Zeit nach der Lehman-Pleite Finanzmarktreformen im alten Lobbyistenstil zu bekämpfen. Die Vorstellung, dass Energie billig und reichlich sein muss, herrscht unverändert vor, obwohl sie auf der historisch einmaligen Verfügbarkeit im fossil-nuklearen Zeitalter beruht.
Erdöl ist der wichtigste fossile Energieträger und zugleich ist der Verkehr fast vollständig von ihm abhängig. Seit Mitte des letzten Jahrzehnts hat die Förderung ein Plateau erreicht: Peak Oil. Ab jetzt wird es mit der Förderung nur noch abwärts gehen. Dies ist der eigentliche Grund für die starken Ölpreissteigerungen, vom kurzen Einbruch während der Finanzkrise abgesehen. Damit sind wir jetzt an der Schwelle eines alle Bereiche der Wirtschaft und des Lebens umfassenden Strukturbruchs: Eine der wesentlichen Voraussetzungen der bisherigen Entwicklung bricht weg.
Die immer stärker durchschlagenden Folgen des globalen Klimawandels verschärfen den dadurch ausgelösten Strukturwandel. Ebenso wird bei noch weiter wachsender Weltbevölkerung der anhaltende Bodenverlust und die Versiegelung fruchtbarer Böden schnell zu einem kritischen Problem der Landnutzung. Die Verfügbarkeit von Grundstoffen wie etwa Eisen, Kupfer und Aluminium ist immer schwerer zu gewährleisten, von den Problemen mit seltenen Erden und anderen, für die Energiewende strategischen Metallen ganz zu schweigen. Auch dies verschärft den beginnenden Strukturbruch und führt, wenn wir nicht handeln, zu massiven Verteilungskämpfen.
Das fossile Zeitalter ist nichtnachhaltig. Ein Fortsetzung nach dem Motto „Business-as-usual“ ist nicht möglich: Es geht nicht so weiter, weil es nicht so weiter gehen kann. Es steht eine Große Transformation an. Energie war vor der Ausbeutung von Kohle und Erdöl immer knapp und teuer und wird es in Zukunft wieder sein. Der politische Konflikt spielt sich zwischen mächtigen Interessen ab, die das fossile Endspiel verlängern wollen, und jenen, die den unvermeidlichen Umbruch auf neuen Wegen gestalten wollen.
Die gesellschaftliche Verantwortung erfordert es, diese Herausforderung anzunehmen. Wir brauchen eine Große Transformation im Sinne eines für politische, ökonomische, gesellschaftliche und ökologische Systeme verträglichen Übergangs zu nachhaltigerem Leben und Wirtschaften. Diese Art einer verträglichen Großen Transformation kommt nicht von selbst. Sie beruht vielmehr sowohl auf der Einsicht in das Unvermeidliche als auch auf der bewussten Entscheidung zum Handeln. Damit eröffnet sich in den gegenwärtigen Krisen ein in Tiefe und Umfang bislang nicht vorstellbares Bündel an Gestaltungsmöglichkeiten.
Es geht also zum einen um die Einsicht in die Notwendigkeit der Großen Transformation. Dazu gehört die Anerkennung der Naturgesetze und der planetaren Grenzen unseres Wirtschaftens. Ein unendliches quantitatives wirtschaftliches Wachstum ist nicht möglich. Zum anderen geht es darum, den Übergang in eine postfossile Zeit nachhaltiger Entwicklung verträglich zu gestalten. Dafür gibt es ganz einfache Möglichkeiten, um sofort zu beginnen (siehe „12-Punkte-Programm um den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu senken“).
In der Gesellschaft lässt sich durchaus eine Bereitschaft erkennen, die Grundausrichtung hin zu erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz zu ändern. So erfreulich die ersten Schritte sind, sind sie doch weit von dem entfernt, was an Umbrüchen tatsächlich vor uns liegt: Noch immer beruht die Verkehrspolitik auf der Annahme reichlichen und billigen Öls, wird auf Flughafenausbau und mehr Straßen gesetzt. Insgesamt ist die Produktion durchgreifend in allen Bereichen zu transformieren (von fossilen Energien unabhängiger, ressourceneffizienter, langlebiger etc.) ebenso wie die Produkte, die Art der Arbeitsteilung, der Siedlungs- und Raumstrukturen. Kurz gefasst: Es handelt sich um eine Große Transformation vergleichbar der Industriellen Revolution, in der sich der fossil geprägte Kapitalismus entwickelt hat. Nicht mehr und nicht weniger.
Eine verträgliche Gestaltung der anstehenden Großen Transformation braucht Transformateure. Diese Akteure arbeiten an den positiven Beispielen mit und tragen zu deren Verbreitung bei: von der Stadtumgestaltung in Richtung lebendiger Städte mit mehr Raum für Fußgänger und Radfahrer (z.B. Kopenhagen) über die Regionalversorgung aus ökologischem Landbau bis hin zu Regionen mit Selbstversorgung aus erneuerbaren Energien und zu Produkten mit besserer Reparaturfähigkeit, Mehrfachnutzung während der gesamten Lebensdauer etc.. Die Bandbreite ist groß und betrifft alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche. Es gibt eine verständliche Verlustangst vor dem Wegbrechen der alten Strukturen. Man kann die Perspektive jedoch auch umkehren: Ein Neubeginn eröffnet neue Chancen.
Es gilt, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern entschieden und durchgreifend abzubauen, den Energieverbrauch radikal zu senken. Und ebenso gilt es, die sozialen Belastungen der Umbrüche zu verringern, die Verteilungskonflikte zu entschärfen und den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken. Für die Große Transformation brauchen wir politische, wirtschaftliche und soziale Strukturen, die robust genug sind, um die Unsicherheiten und Überraschungen des Übergangs abzufedern.
Abdruck mit Quellenangabe möglich – www.transformateure.org