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Was uns das tägliche Brot wert sein sollte
von der Transformateurin Silvia Liebrich

Silvia Liebrich ist Wirtschaftsredakteurin und Buchautorin und Mitglied bei den Transformateuren.  Seit 19 Jahren arbeitet sie für die Süddeutsche Zeitung in München.

Ein längerer Artikel zur Thematik ist in der Süddeutschen Zeitung, Nr. 90, 18./19.4.2010 unter dem Titel „Hunger auf Mehr“ erschienen.

In ihrem Blog Sophies verkehrte Welt abrufbar.

Das tägliche Brot ist in modernen Zeiten zur Selbstverständlichkeit geworden, zumindest in Deutschland. Erst mit der Corona-Krise wird vielen Menschen klar, dass nichts selbstverständlich ist. Und plötzlich tauchen uralte Ängste auf. Menschen fangen an Mehl und andere Vorräte zu horten, obwohl es dafür keine rationalen Gründe gibt. Lebensmittel scheinen plötzlich wieder wertvoll zu sein.

Auch Im Zusammenleben macht sich eine neue Achtsamkeit bemerkbar. Familienmitglieder sitzen gemeinsam am Esstisch, sie frühstücken, essen zu Mittag und zu Abend. Es wird gekocht, gebacken und Neues ausprobiert. Viele entdecken, dass es Spaß machen kann, sich selbst zu versorgen, und so mancher sitzt vor den Ofen und schaut zu, wie sich der selbstgeknetete Teig in ein knuspriges Brot verwandelt.

Einer der wenigen positiven Effekte der Krise ist, dass der Umgang mit Lebensmitteln hinterfragt wird. Wir sind daran gewöhnt, dass sie in Hülle und Fülle vorhanden sind, und gleichzeitig so wenig kosten wie nie, gemessen an den Lebenshaltungskosten.

Wer in diesen Tagen vor leergekauften Mehlregalen im Supermarkt steht, erinnert sich vielleicht mit schlechtem Gewissen daran, dass er noch vor kurzem genießbare, aber nicht mehr ganz so frische Brötchen im Müll entsorgt hat. Viele denken nun genauer nach, bevor sie etwa den abgelaufenen Quark oder die welken Karotten wegwerfen. Auch darin zeigt sich die Wertschätzung für Lebensmittel. Denn die beschämende Erkenntnis der vergangenen Jahrzehnte ist: Überfluss macht mäkelig – je mehr Wohlstand, desto größer die Lebensmittelverschwendung.

Nun rüttelt die Krise die Lieferketten durch und an manchen Stellen reißt sie auch. Das führt dazu, dass sich Konsumenten mehr dafür interessieren, wie die Versorgung funktioniert, wo ihre Schwachstellen liegen, wer auf der Seite der Gewinner, wer auf der Seite der Verlierer in diesem komplexen System steht.

Auch die Landwirtschaft, deren Ausrichtung heftig umkämpft ist wie nie zuvor, rückt so in ein neues Licht. Eine Krise wie diese schafft Raum für Veränderung, Reform und Versöhnung. Es wäre ein großer Fehler, diese Chance nicht zu nutzen. Die Pandemie kann zur treibenden Kraft für Reformen in der Ernährung und der Agrarpolitik werden. Ein Wandel, der längst überfällig ist, hin zu einem umsichtigen, sorgsamen und vorausschauenden Umgang mit lebenswichtigen Ressourcen.

Verbraucher, Erzeuger und Handel sollten die Krise als Chance begreifen. Tatsächlich ist sie eine gute Gelegenheit, das Ernährungssystem neu zu justieren. Dafür gibt es keine einfachen Lösungen, dafür braucht es die Bereitschaft zu kooperieren und neue Wege zu gehen.