Die Herausforderung der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Krisen annehmen

München/Tutzing, 1. Februar 2016

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Die über viele Jahre ansteigenden Ölpreise, der Ölpreisverfall und ganz allgemein die hohe Volatilität verursachen große Aufregung. Umweltkatastrophen wie „Deepwater Horizon“, „Fukushima“ als Folge unserer westlichen Energieverschwendung und Fracking führen in Deutschland zu heftigen Diskussionen über die Ausgestaltung der Energiewende. Auch die Thematik Landraub und Bodenspekulation rückt die weltweit heftigen Auseinandersetzungen um fruchtbare Böden und die Art der Landnutzung in Deutschland ins Blickfeld.

Der fortschreitende Klimawandel zeigt sich in einer Zunahme von Wetterextremen. Man hat sich zwar bei der Klimakonferenz in Paris Dezember 2015 erstmals auf konkrete Klimaschutzziele festgelegt, aber noch ist offen, wie sie sich tatsächlich rasch genug umsetzen lassen. Die Finanzkrise ist nicht ausgestanden. Fragen der fairen Entlohnung und sozialen Gerechtigkeit stellen sich in verschärfter Form.

Dies alles sind Symptome der ökologischen, sozialen und ökonomischen Krisen, die wir derzeit erleben. In allen Bereichen zeigt sich die Nichtnachhaltigkeit von bisher scheinbar erfolgreichen Wirtschaftsweisen. Folglich werden die Versuche scheitern, mit möglichst wenigen Veränderungen so weiter zu machen wie bisher. Die Vorstellung, dass Energie billig und reichlich sein muss, herrscht unverändert vor, obwohl sie auf der historisch einmaligen Verfügbarkeit der letzten Jahrzehnte (im fossil-nuklearen Zeitalter) beruht.

Erdöl ist nach wie vor der wichtigste fossile Energieträger und zugleich ist der Verkehr fast vollständig von ihm abhängig. Seit Mitte des letzten Jahrzehnts hat die konventionelle Förderung ein Plateau erreicht: Peak Oil. Ab jetzt wird es mit deren Förderung nur noch abwärtsgehen. Dies führt zur Verlagerung auf immer riskantere Fördermethoden und Regionen wie in der Tiefsee, Arktis und Fracking. Damit sind wir jetzt an der Schwelle eines alle Bereiche der Wirtschaft und des Lebens umfassenden Strukturbruchs: Eine der wesentlichen Voraussetzungen der bisherigen Entwicklung bricht weg.

Die immer stärker durchschlagenden Folgen des globalen Klimawandels verschärfen den Strukturwandel. Die wachsende Weltbevölkerung, der anhaltende Bodenverlust sowie die Versiegelung und Übernutzung fruchtbarer Böden verschärft den Kampf um Land. Selbst die Gewinnung von alltäglichen Grundstoffen wie etwa Kupfer, Nickel und Aluminium wird aufwändiger, von den Problemen mit seltenen Erden und anderen, für die Energiewende und die anhaltende Digitalisierung strategischen Metallen ganz zu schweigen. Auch dies wird den beginnenden Strukturbruch verschärfen und wird, wenn wir nicht handeln, zu massiven Verteilungskämpfen führen. Die ökologische Frage und die soziale Frage gehören zusammen.

Das fossile Zeitalter ist nicht nachhaltig. Eine Fortsetzung nach dem Motto „Business-as-usual“ ist nicht möglich: Es geht nicht so weiter, weil es nicht so weitergehen kann. Es steht eine Große Transformation an. Energie war vor der Ausbeutung von Kohle und Erdöl immer knapp und teuer und wird es in Zukunft wieder sein. Die beginnende Transformation zeigt sich am politischen Konflikt zwischen mächtigen Interessen, die das fossile Endspiel verlängern wollen, und jenen Kräften, die den unvermeidlichen Umbruch auf neuen Wegen gestalten wollen.

Die gesellschaftliche Verantwortung erfordert es, diese Herausforderung anzunehmen. Wir brauchen die verträgliche Gestaltung der sozial-ökologischen Transformation: den Übergang zu nachhaltigerem Leben und Wirtschaften auf der politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und ökologischen Ebene. Diese Art einer verträglichen und gerechten Großen Transformation kommt nicht von selbst. Sie beruht vielmehr sowohl auf der Einsicht in das Unvermeidliche als auch auf der bewussten Entscheidung zum Handeln. Damit eröffnet sich in den gegenwärtigen Krisen ein in Tiefe und Umfang bislang nicht vorstellbares Bündel an Gestaltungsmöglichkeiten.

Es geht also zum einen um die Einsicht in die Notwendigkeit der Großen Transformation. Dazu gehört die Anerkennung der Naturgesetze und der planetarischen Grenzen unseres Wirtschaftens. Ein unendliches quantitatives wirtschaftliches Wachstum ist nicht möglich. Mit dem Versprechen materiellen Wachstums konnte die Verteilungsfrage in den westlichen Industriestaaten vordergründig für wenige Jahrzehnte entschärft werden. Umso heftiger kehrt sie jetzt auf die Tagesordnung zurück. Zum anderen geht es darum, den Übergang in eine postfossile Zeit nachhaltiger Entwicklung verträglich und gerecht zu gestalten. Dafür gibt es ganz einfache Möglichkeiten, um sofort zu beginnen.

In der Gesellschaft lässt sich durchaus eine Bereitschaft erkennen, die Grundausrichtung zu ändern. So erfreulich erste Schritte etwa hin zu erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz sind, sind diese doch weit von dem entfernt, was an Umbrüchen tatsächlich vor uns liegt: Noch immer beruht die Verkehrspolitik auf der Annahme reichlichen und billigen Öls, wird auf Flughafenausbau und mehr Straßen gesetzt. Insgesamt ist die Produktion durchgreifend in allen Bereichen zu transformieren (d.h. von fossilen Energien unabhängiger, ressourceneffizienter, langlebiger etc. zu werden) ebenso wie die Produkte, die Art der Arbeitsteilung, der Siedlungs- und Raumstrukturen. All dies führt zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Umbrüchen. Kurzgefasst: Es handelt sich um eine Große Transformation vergleichbar der Industriellen Revolution, in der sich der Kapitalismus fossil geprägter Art entwickelt hat. Nicht mehr und nicht weniger.

Eine verträgliche und gerechte Gestaltung der anstehenden Großen Transformation braucht Transformateure. Diese Akteure arbeiten an den positiven Beispielen mit und tragen zu deren Verbreitung bei: von der Stadtumgestaltung in Richtung lebendiger Städte mit mehr Raum für Fußgänger und Radfahrer über die Regionalversorgung aus ökologischem Landbau bis hin zu Regionen mit Selbstversorgung aus erneuerbaren Energien und zu Produkten mit besserer Reparaturfähigkeit, Mehrfachnutzung während der gesamten Lebensdauer etc. Die Bandbreite ist groß und betrifft alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche. Es gibt eine verständliche Verlustangst vor dem Wegbrechen der alten Strukturen. Man kann die Perspektive jedoch auch umkehren: Ein Neubeginn eröffnet neue Chancen.

Es gilt, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern entschieden und durchgreifend abzubauen, den Energieverbrauch radikal zu senken. Und ebenso gilt es, die sozialen Belastungen der Umbrüche zu verringern, die Verteilungskonflikte zu entschärfen und den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken. Für die Große Transformation brauchen wir politische, wirtschaftliche und soziale Strukturen, die robust genug sind, um die Unsicherheiten und Verwerfungen des Übergangs abzufedern.

© Gesprächskreis Die Transformateure – Akteure der Großen Transformation München/Tutzing, 1. Februar 2016

Abdruck mit Quellenangabe möglich.