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Ein Beitrag des Transformateurs Manfred G. Neun über die Zukunft der Autoindustrie

Manfred G. Neun

Die Krise der Autoindustrie – und warum wir die Zulieferer
brauchen sie zu beenden

Memmingen, 5. Mai 2020

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Die Autoindustrie war schon vor Corona in der Krise.

Drei Dinge sind dabei besonders bedauerlich:

  • Es gab bereits bei der letzten Krise vor gut 10 Jahren die strategische Absichtserklärung der Autoindustrie, sich vom Produkthersteller zum umfassenden Mobilitätsanbieter wandeln zu wollen, gar zu müssen. Alle Erwartungen in dieser Hinsicht wurden enttäuscht.
  • Die Abwrackprämie (offiziell Umweltprämie genannt) hat den notwendigen Wandel nicht begünstigt, sondern praktisch verhindert. Rechnet man zur Abwrackprämie die vielen, und leider auch umwelt- und klimaschädlichen Subventionen von rund 26 Mrd. € pro Jahr dazu, dann ist die Autoindustrie die am stärksten subventionierte Branche in Deutschland, vom Wirken marktwirtschaftlicher Mechanismen weit entfernt.
  • Nicht nachhaltiges Wachstumsdenken und sehr kurzfristig angelegtes Shareholder-Value-Denken sind zwar selbstverschuldet, werden aber auf dem Rücken der Mitarbeiter und des Steuerzahlers ausgetragen. Wer dann auch noch Dividendenausschüttungen als angemessen bezeichnet, hat jedes Maß und jede Moral verloren.

Die aktuelle Diskussion um eine quasi-Neuauflage der Abwrackprämie offenbart auf diesem Hintergrund ein katastrophales Denken der Verantwortlichen in der Industrie selbst wie auch in der Politik. Wenn man darüber hinaus bedenkt, dass 75 Prozent der Produkte der deutschen Automobilindustrie ins Ausland gehen, darf erst recht am Erfolg dieses Konsumstrohfeuers gezweifelt werden. Eine Schlüsselbranche, die nach solchem Strohhalm greifen muss, ist keine Schlüsselbranche mehr.

Die Stellung der Automotiv-Zulieferer

Vermeintlich sitzen die Zulieferer im selben Boot mit den großen Autokonzernen. Geht es den Autoherstellern schlecht, geht es auch den Zulieferern schlecht. Und natürlich machen erst alle zusammen die „Schlüsselbranche“ mit den zigtausenden Mitarbeitern aus.

Aber in Wirklichkeit sitzen sie nicht im selben Boot:

  • Die Zulieferer leiden schon seit Jahren unter dem großem Kostendruck seitens der Hersteller.
  • Die Hersteller versuchen auch den Ersatzteilmarkt der Werkstätten zu kontrollieren.
  • Die Just-in-time-Politik mit der Verlagerung des Teile-Lagers auf die Straße trifft die Zulieferbetriebe am härtesten; erst mit Corona wurde deutlich, wie er auch auf die Verursacher zurückschlägt.
  • Und bei alledem kommen viele Innovationen in der Autoindustrie von den Zuliefer-Unternehmen.

Die Zulieferbetriebe haben also ein elementares Interesse daran sich von den Autoherstellern zu emanzipieren, um nicht mit ihnen noch tiefer in die Krise hineingezogen zu werden und damit selber in Schieflage zu geraten. Grundsätzlich haben diese Unternehmen die Innovationsstärke und Flexibilität sich neuen Aufgaben zu stellen und auch Arbeitsplätze weit besser zu sichern.

Die Flexibilität bekommt gerade in der Corona-Krise kräftige, neue Impulse. Die Krise schärft aber auch den Blick über den Autoland-Horizont hinaus, wenn plötzlich viele auf das Fahrrad umsteigen.

Diversifikationsstrategien

Am besten dran waren schon immer Unternehmen, die sich nicht gänzlich von den Autoherstellern abhängig machen mussten. Viele Teilehersteller haben auch die letzte Dekade genutzt, um sich breiter aufzustellen. Interessant ist es dabei, sich die verschiedenen und auch praktizierten Diversifikationsstrategien genauer anzuschauen (ohne Berücksichtigung horizontaler, vertikaler etc. Kriterien):

  • Produktgetriebene Diversifikation: Wo, in welch anderen Anwendungsbereichen können unsere Produkte ebenfalls Verwendung finden?
    Beispiel: Magnetventile aus dem Automotiv-Segment für andere (Maschinen-)Steuerungen.
  • Technik-/Innovationsgetriebene Diversifikation: Wo, in welch anderen Anwendungsbereichen kann unsere Innovationskraft auch oder sogar besser zum Tragen kommen?
    Beispiel: Teile oder ganze Spezialfahrzeuge aus dem Automotiv-Segment für Bahn-Cargo-Logistik, die es im Sinne von System-Logistik weiterzuentwickeln gilt.
  • Angebots-Diversifikation: Wie verändere ich mein Angebot, um mich dem Wandel und neuen Märkten erfolgreich zu stellen?
    Beispiele: Gesundheitsprodukte (Mundschutz, Schutzkleidung u.a.) statt Autositze, oder Wandel vom Autohersteller zum Mobilitätsanbieter.

Aus diesem einfachen Raster an Diversifikationsstrategien lässt sich sehr leicht ablesen, wo Transformationsprozesse begonnen und wie Innovationskraft und Diversität auf Seiten der Zulieferer schnell genutzt und abgerufen werden können.

Aufgabe der Politik

2011 erlebten wir Fukushima und den Beginn von Energie- und Verkehrswende. Die Große Transformation wurde mit dem WBGU-Hauptgutachten auf die bundesdeutsche Agenda gesetzt. Die Klimakrise hat die Dringlichkeit nochmals deutlich gesteigert. Aktuell bietet der European Green Deal insbesondere für zukünftige Mobilität noch viel kreativen Spielraum, mit dem wir globale Maßstäbe setzen können. Die Corona-Krise darf jetzt nicht als etwas Neues, sondern muss leider auch als ein bisher nicht-beachteter Teil nichtnachhaltiger Politik und Wirtschaftsweise betrachtet werden.

In dieser Situation brauchen wir also sicher keine Autopolitik, wir brauchen eine umfassende, ganzheitliche, systemische Mobilitätspolitik. Nur die beherzte Umsteuerung und das große Zukunftspotential, das wir in Deutschland haben, bringen uns weiter und lassen die Krise zur Chance werden.

Wir haben die Mittel und Ressourcen für diese Transformation. Aber wir sollten diese Mittel nicht vergeuden, nicht in einem Konsumstrohfeuer verbrennen und verpuffen lassen. Und wir haben auch die Pflicht unsere Ressourcen nachhaltig einsetzen.

Fazit

Die großen Autohersteller haben hinreichend bewiesen, dass sie kein Interesse an einer Transformation der ganzen Branche haben. Konkrete Ziele in dieser Richtung wurden nicht verfolgt. Die Automotiv-Zulieferunternehmen dagegen haben die weit höhere Flexibilität gepaart mit Diversifikations- und Innovationsstärke, um diesen Prozess aktiv mitzugestalten. Auch für die Belebung und Resilienz unserer mittelständisch-geprägten Wirtschaftsordnung ist diese Erkenntnis von elementarer Bedeutung für die Politik wie auch die Unternehmen selbst.