Aufbruch – Sozial-ökologische Transformation
als Leitlinie für Investitionsprogramme

Zusammenfassung des Online Workshops vom 19.Mai 2020

Martin Geilhufe und Klaus Mertens
München/Schweinfurt 3. Juni 2020
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Der Workshop „Aufbruch – Sozial-ökologische Transformation als Leitlinie für Investitionsprogramme“ wurde durch den Gesprächskreis Die Transformateure initiiert, der rund 2/5 der
Teilnehmer_innen stellte. Darüber hinaus nahmen weitere 15 Teilnehmer_innen aus Politik, Gewerkschaften und Naturschutzverbänden sowie anderen Teilen der Zivilgesellschaft teil. Inhaltlich
sollte es um Leitlinien kommender Konjunkturprogramme gehen.

1. Die Ziele von Konjunktur- und Investitionsprogrammen zur Bewältigung der durch Covid-19 ausgelösten ökonomischen Krise

  • Die Programme sollen die Weichen in Richtung sozial-ökologischer Transformation der Unternehmen im Sinne von Portfolio und Herstellprozessen stellen.
  • Gleichzeitig sollen dadurch auch Beschäftigung und soziale Sicherheit für die Menschen gesichert werden.
  • Die sich in den letzten Monaten abzeichnende Wertschätzung für ein weniger an Konsum und beruflich induzierter Hektik und ein Mehr an Muse und Ruhe soll Teil der politischen Auseinandersetzung etwa um die Zukunft von Arbeitszeiten im Allgemeinen und dem zeit und raumunabhängigen Arbeiten (Home-Office) im Speziellen werden.
  • In den Konjunktur- und Investitionsprogrammen muss sich auch die Systemrelevanz einzelner Berufsgruppen und Branchen dauerhaft materialisieren.


2. Themen- und Handlungsfelder von Konjunktur- und Investitionsprogrammen

  • Der Mobilitätsbereich ist ein zentrales Handlungsfeld, weil sich hier der größtmögliche Hebel in Richtung Klimaschutz und der Ansatzpunkt für Beschäftigungssicherung zeigt. Dabei ist der bereits beschrittene Pfad der Elektrifizierung des Antriebsstrangs und einer Spreizung des Modal Split durch Stärkung des öffentlichen Verkehrs und der aktiven Mobilität (inkl. E-Bikes) deutlich zu verstärken. Die Überkapazitäten der  Automobilindustrie müssen sozialverträglich abgebaut bzw. in einem Konversionsprozess für andere Produkte umgebaut werden.
  • Die Energiewende ist ein weiteres zentrales Handlungsfeld in Richtung Nachhaltigkeit.
  • Die Digitalisierung hat in den letzten Wochen einen ungeheuren Schub erlebt. Nun geht es darum, die Schwächen der digitalen Infrastruktur auszumerzen und eine sinnvolle, nachhaltige und energieeffiziente Weiterentwicklung anzustoßen, sowie den Zugang zu dieser Infrastruktur als demokratisches Grundrecht für Alle möglich zu machen, insbesondere für Kinder- und Jugendliche in Schulzeit und Ausbildung!
  • Systemrelevanz ist in den letzten Wochen zu neuer Bedeutung gelangt und nicht länger der ökonomischen Sphäre vorbehalten, sondern gerade die Wertschätzung für die sozialstaatlichen Leistungen vom Busfahren bis zum Krankenpflegen ist gestiegen, genau wie die Anerkennung der Leistung von Künstler_innen und Solo-Selbständigen.


3. Maßnahmen eines Investitions- und Konjunkturprogramms

    • Es darf keine Abwrackprämie 2.0 geben! Sollte es zu einer Kaufprämie kommen, ist diese entlang der Aspekte von Nachhaltigkeit und Beschäftigungseffekten so auszugestalten, dass der technologische Wandel am Antriebsstrang in Richtung Elektromobilität endlich vorankommt.
    • Jenseits der finanziellen Förderung wird es auch darum gehen, neben den technischen Fragen der Mobilität, auch die kulturellen Fragen des
      • Einsparens von Wegen (auch durch digitale Helferlein),
      • der Wert-Schätzung des Nicht-Unterwegs-sein-Müssens und
      • der in den Alltag integrierten Gesunderhaltung durch aktive Mobilität

        bespielt werden. Das gilt auch für das Themenfeld des Tourismus.
    • Die Investitionsprogramme müssen den Umbau der Herstellprozesse in Richtung Ressourceneffizienz, Recyclingfähigkeit und Emissionsfreiheit unterstützen und vorantreiben. Das gilt insbesondere für KMU! Deshalb soll es neben den fiskalischen Instrumenten auch Förderprogramme für Technologieberatung analog zur Potenzialberatung in NRW geben.
    • Lieferketten müssen auf den sozial-ökologischen Prüfstand gestellt werden. Für die Resilienz unserer Gesellschaft notwendige Lieferketten müssen solidarisch regionalisiert werden.
    • Die eingesetzten Steuermilliarden dürfen die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter vergrößern. Die zu verteilenden Steuergelder zur Rettung von Unternehmen müssen sozialökologischen Kriterien entsprechen.

 

4. Sonstige Maßnahmen

  • Die Pandemie hat die Frage der Systemrelevanz neu gestellt. Vor diesem Hintergrund muss der Sozialstaat, jenseits kapitalistischer Verwertung durch die Privatwirtschaft, auf die neuen, alten Füße gestellt werden. Daseinsfürsorge ist staatliche Aufgabe und durch diesen mit anständigen Arbeitsbedingungen und Entlohnung fürs Personal sicherzustellen! Hierbei geht es schlussendlich um das Ziel resilienter Sozialsysteme!
  • Die Überführung von Unternehmen in Mitarbeiter_innenhand, bzw. die Beteiligung von Mitarbeiter_innen am Unternehmen ist eine weitere Möglichkeit Beschäftigung zu sichern und die Frage sozialer Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln.
  • Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat besonders in den Wochen der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen gezeigt, wie notwendig und wertvoll Qualitätsjournalismus ist. Dieser muss dauerhaft gesichert und vor Angriffen bewahrt werden.
  • Wie könnte man die finanzielle Beteiligung von Mitarbeitenden in Unternehmen stärken?


5. Politische Rahmenbedingungen

  • Die politisch Verantwortlichen haben in den letzten Wochen eine hohe Handlungsfähigkeit und eine erhöhte Handlungsbereitschaft gezeigt, für die es in weiten Teilen der Bevölkerung große Wertschätzung und hohe Akzeptanz gibt. Den Bürgern*innen wurden die Maßnahmen damit erklärt, dass die politischen Entscheidungen auf dem Boden der wissenschaftlichen Erkenntnisse beruhen. Das gilt es nun auch für die Fragen der sozial-ökologischen Transformation zu erhalten. Das Motto #FlattentheCurve gilt es auch auf die Klimaschutzpolitik zu übertragen. Im Vergleich der Infektion- und Todesszahlen der Länder zeigt sich, dass frühes reagieren zur Überlebensfrage wird.
  • Das in Deutschland weitest gehend staatliche Gesundheitssystem und die funktionierenden lokalen Versorgungsstrukturen dürfen nicht weiter zurückgebaut werden, sondern müssen teilweise reaktiviert werden.
  • Die Pandemie hat neben all den zarten Pflänzchen der Veränderung einer Verstetigung kapitalistischer Monopolisierung (prominentestes Beispiel ist sicherlich Amazon) Vorschub geleistet. Dem gilt es mit Ansätzen der Regionalisierung und kartellrechtlichen Beschränkungen Einhalt zu gebieten. Dabei muss klar sein, dass die Krisenbewältigung unter kapitalistischen Vorzeichen ablaufen wird. Das heißt, dass sich Beschäftigte  und Zivilgesellschaft auf Abwehrkämpfe vorbereiten müssen.
  • Die Krise zeigt für lokale Vermarktungsstrukturen auch neue Wege und Chancen innerhalb der Digitalisierung auf.
  • Die Erfahrungen in der Pandemie sind recht unterschiedlich. Während sich die eigenheimbesitzende Mittelschicht über den Vogelgesang im Garten freuen kann, geht es der alleinerziehenden Mutter im Kurzarbeitergeldbezug (67% des letzten Nettos) bestimmt um andere Themen. Hier gilt es, den einen Erfahrungsraum nicht gegen den Anderen auszuspielen, sondern sie zusammenzuführen. Diese Dualität von Krisenerfahrungen und Transformationschancen ist eine große Herausforderung.
  • Dabei entstehen die Konjunkturprogramme bereits jetzt, und zwar in Europa, im Bund und den Ländern. Dies ist vor dem Hintergrund der Krisenerfahrungen sicher auch eine Frage sozialer Gerechtigkeit.
  • Allerdings stehen damit auch die Akteure einer sozial-ökologischen Transformation unter ungeheurem Druck sich hier einzubringen!
  • Die gemeinsamen erhobenen Forderungen müssen durch die Zivilgesellschaft auch im öffentlichen Raum wieder sichtbar werden. Der öffentliche Raum darf nicht denen überlassen werden, die unter dem Vorwand der Wiederherstellung von Grundrechten auf die Straßen und Plätze gehen, die sie sonst mit Füßen treten. Generell ist Öffentlichkeit und öffentlicher Raum für demokratische Auseinandersetzungen essenziell. Dies hat die aktuelle, durch das Coronavirus ausgelöste Krise in aller Deutlichkeit gezeigt.